Im Austausch mit Pferdefreunden fällt immer wieder auf, welche Welten sich im Alltag im Pensionsstall doch zwischen der Schweiz und dem nur 2000 km entfernten Andalusien auftun.  🙂

Darum einmal ein Wort zum Donnerstag dazu.

Eines vorweg: Wir klammern uns als ehemalige Einsteller in Schweizer Pensionsställen auch nicht aus! 😉

Oh, und noch ein Zweites vorweg: dieser Text dient in keinster Weise dazu, unseren Stall oder unsere neue Heimat schlecht zu machen! Bonita und Major geht es gut, wir fühlen uns weitgehend sehr wohl da und haben die meisten Menschen dort echt lieb.

Was haben wir uns früher über Löcher auf der Weide gesorgt (oder schlimmstenfalls geärgert). Wie schlimm, wenn beim Misten eine Kugel Sch***e versehentlich liegen blieb. Wie böse, wenn ein Halm zuviel Heu oder zuwenig Stroh verabreicht wurde. Oh weh, wenn das Pferd ohne Glocken auf die Weide gebracht wurde (okay, hier sind wir beide raus; weder Major noch Bonita hatten Nahkontakt mit Extremverpackung). Wie übel, wenn’s auf der Toilette nur kaltes Wasser gab. Oder die Kaffeemaschine ausser Betrieb war. Reitplatz unter Wasser? Geht ja gar nicht! Steiniger Waldweg? Benutzung nur im Notfall.

Ja, das sind Sorgen, die man als Reiter in der Schweiz schnell mal hat. Berechtigte Sorgen – klarer Fall!

Alltag-im-Pensionsstall_Morgenritt

Abhilfe kann hier nur ein Aufenthalt in Andalusien schaffen. Da wird man gezwungenermassen entspannter. Eine genervte (spanische) Stallkollegin hat es kürzlich gut auf den Punkt gebracht, als ihr Halfter zum wiederholten Mal von seinem Platz an der Box verschwunden war: «Bist du zwei Tage nicht hier, ist dein Material weg. Bist du eine Woche nicht hier, ist dann das Pferd weg, oder wie?»

Keine Sorge: Major und Bonita sind noch da. Aber es scheint im Stall tatsächlich ein «schwarzes Loch» zu geben, welches regelmässig zuschlägt. Dinge verschwinden auf nimmer Wiedersehen, auch wenn nicht eingebrochen wurde. Oder man läuft schnell mal das grosszügige Areal ab, um irgendwo an der hintersten Weide oder an einem Reitschulpferd sein Halfter wiederzufinden, auch wenn da der Name deines Lieblings dreifach gross und fett draufsteht.

Pferde tauchen in unseren Boxen auf wie von Zauberhand. Und nein, nicht unsere eigenen. Die stehen dafür vielleicht unvermutet auf anderen Weiden als es die letzten drei Monate der Fall war. Wobei man eigentlich froh sein muss, wenn sie auf Weiden stehen. Wir haben eine Rocker-Gang bei uns, die sich aufs Ausbrechen spezialisiert und dies zu einer zuverlässigen Routine gemacht hat.

Bist du morgens der Erste im Stall, sieht das dann schon mal so aus:

Alltag-im-Pensionsstall_Partynight

Man sammelt die Schlingel ein, bringt sie zurück auf ihre Weide und beim Kontrollblick vor dem Ausritt sind sie auch noch brav da. Wirft man fünf Minuten später von unterwegs einen letzten Blick zurück, sind sie bereits wieder draussen und räumen die Futterkiste und das Heulager leer. Trinken die Red Bull? Man weiss es nicht so genau…

In der Schweiz wird man ja schräg angeschaut, wenn man ein Vorhängeschloss an seinen Materialschrank macht. In Spanien wäre das hilfreich, sofern einem was an seinen eigenen Mittelchen, Bürsten und Halftern liegt. Dumm nur, dass man hier keinen Sattelschrank hat! Da müsste man wohl seinen eigenen mitbringen. Aber wohin stellen? Hier ist ein eigener Sattelhalter schon ein Privileg; die meisten teilen sich einen. Wir lassen inzwischen die wichtigen Dinge nicht mehr im Stall. Ausser den Sätteln. Und meiner wurde ja vor einigen Wochen prompt gestohlen, als die Sattelkammer nachts aufgebrochen und komplett geplündert wurde.

Weiterer spannender Punkt: die Paddocks. Wer sich Sorgen macht, wenn ein Stein sein Pferd nur schräg ansieht, der lässt sein liebes Tier am besten in der Box. Äh, Innenbox. Auslaufboxen gibt’s hier sozusagen nicht. Man hat die Wahl zwischen Campo (24/7 draussen, 365 Tage im Jahr) oder Cuadra. Wechselt man wie wir die Pferde täglich für ein paar Stunden zwischen den Bereichen hin und her, ist man schon ein Exot.  🙂

Aber zurück zu den Paddocks: Steine (auch grosse Steine) gehören da zum Programm. Ebenso Olivenbäume, Disteln und die komischen Klettpflanzen, die überall am Pferd hängen (bevorzugt im Langhaar), wir aber immer noch nicht wissen, woher die eigentlich kommen. Die Selbsttränke auf unserem derzeitigen Paddock ist eine Art Hauptgewinn. Wahrscheinlicher ist es, dass eine grosse Tonne dasteht, die hoffentlich gelegentlich aufgefüllt wird und in der im Sommer Froschlarven und anderes Getier bestens gedeihen.

Pferdegruppen neu zusammenstellen? Neues Pferd integrieren? – Kein Problem! Einfach rein damit. Ein paar Tage und Schrammen später haben sie die Hackordnung unter sich ausgemacht und die Kratzer werden weniger.

Spanier sehen in vielen für uns selbstverständlichen Dingen keinen Sinn, wenn sie kein sichtbares Resultat davon haben. Impfen ist so ein Beispiel. Unser Tierarzt erzählte kürzlich, dass viele Kunden ihm Geld zahlen wollen für den Aufkleber im Impfpass (wird u.a. für Turniere benötigt), aber keine Spritze ins Pferd machen möchten. Auch nicht bei krasseren Krankheiten wie Starrkrampf oder Tollwut. Sie ändern ihre Meinung erst, wenn eines ihrer Tiere oder das eines Nachbarn oder Bekannten an einer solchen Krankheit stirbt. Dann plötzlich ist Impfen cool.

Ähnlich verhält es sich mit der Fütterung. 12 Stunden ohne Futter bringen so ein Pferd ja nicht um. Das Magengeschwür wächst unbemerkt und wenn das Tier irgendwann doch stirbt, ist das halt so. Daher kann man sich hier schweizerische Killerkriterien wie 3–4x tägliche Heufütterung gleich ans Bein streichen. Im Gegenteil: man muss froh sein, wenn die lieben Pferde wenigstens einmal täglich Heu bekommen (bekommen unsere!) und das auch klappt, wenn der Stallchef mal ausser Haus ist (da wird’s dann schnell mal etwas schwierig).

Ausmisten reicht einmal alle paar Tage, dazwischen wird im Idealfall einfach Stroh über den Mist gestreut. Frisch geerntetes Heu und Stroh wird hier übrigens nicht schnellstmöglich vom Feld ins Trockene gebracht, sondern bleibt manchmal wochenlang auf dem Feld liegen. Mit etwas Glück regnet es genau dann ein-, zweimal drüber, und es ist schon schön schimmlig, bis es überhaupt auf dem Hof ankommt.

Spanische Pferde leben in erster Linie von Futterstroh und naturnahem Müsli oder Hafer. Wenn im Spät-Winter das Gras wächst und der Regen nachlässt, kommen sie auf den Campo; von null auf hundert ins hohe Gras. Manche auf der Weide; viele aber werden irgendwo angepflockt (nicht zwingend am Halfter, das kann auch an einem Bein sein) oder gehobelt (einmal Vorderbeine zusammenbinden, und Pferd macht garantiert keine grossen Sprünge mehr).

Richtig kompliziert wird es hier, wenn man ein Pferd per Anhänger von A nach B bringen möchte. Hierfür braucht es eine spezielle Lizenz und an den Anhänger gehört dasselbe Kennzeichenschild wie ans Auto.

Vielleicht liegt es daran, dass die Geschichte mit dem Pferdeanhänger ja eher kompliziert ist, jedenfalls haben wir mehrfach beobachtet, wie Pferde einfach in Lieferwagen geladen wurden; wo man von aussen niemals vermuten würde, dass da ein Pferd drin stehen könnte. Raus geht’s dann locker einen halben Meter rückwärts in die Tiefe. Pferdetransporter fahren hier – samt Ladung! – auch tiefenentspannt durch das steinige Flussbett unten am Stall.

Immer wieder werden wir von Reitern neidisch-begeistert auf unser traumhaftes Reitgebiet hier angesprochen. Es sieht ja auch vielversprechend aus mit all den Feldern, Wäldern, Pfaden und Feldwegen. Dumm nur, dass da an den meisten Orten ein Dead-End ist, in Form eines grossen Tores oder zumindest einer Kette.

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Ist man nervenstark und höhenangstfrei, kann man hier nette Tagesausflüge zu Pferd machen. Über Stock und Stein geht’s über Pässe, Treppen, am Bahngeleise (ungezäunt) entlang, wo auch immer es einen hinzieht. Man geht und reitet Wege, die man in unserer alten Heimat tunlichst gemieden hätte.
Zu Beginn hatten wir über die Reitverbotsschilder an den Autobahnen noch gelacht. Tatsächlich reiten Spanier auch tiefenentspannt auf der Schnellstrasse oder mitten durch die Stadt. Sie scheinen sich keine Gedanken zu machen über allfällige Gefahren, die so ein Fluchttier Pferd mit sich bringt. Oder sie wissen es einfach schlicht nicht.

Extrembeispiel ist die Feria. Krete und Plete ist da mit seinem Pferd vor Ort; Hengste und Stuten aller Rassen bunt gemischt. «Jeder macht mit» ist hier die Devise. Auch Leute, die ihr Pferd die restlichen 50 Wochen im Jahr nie kontaktieren und irgendwo in einer Box durchdrehen lassen. An der Feria geht’s dann aufs Pferd – sehen und gesehen werden! Die Reiter hängen stundenlang im Sattel, in einer Hand nachlässig die Zügel, in der anderen das Weinglas oder die Zigarette. Egal wie sich das Pferd unter ihnen aufführt; man verzieht keine Miene und parkiert das Tier einfach wieder ein, wo es stehen soll. Zuschauer parkieren Kinderwagen und Rollstühle vor die Pferdebeine und posieren für Fotos. Chicas in wehenden Röcken sitzen hinter ihren Männern auf dem Pferderücken oder wuseln zwischen den Tieren hindurch.

Dafür ist es hier nicht ganz unnormal, morgens früh sein Huftier zu satteln und in die Stadt zu reiten und zusammen mit Pferd Frühstück zu nehmen. Das Serviceteam der Tapasbar ist für solche Fälle und die damit zusammenhängenden allfälligen «Missgeschicke» der Pferde jedenfalls bestens gerüstet. Da stehen Besen und Abfalltüten bereit und es kommen auch keine Misstöne auf, wenn ein Tier mal einen Haufen fallen lässt.

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Im Strassenverkehr ist definitiv nicht zu übersehen, dass die Spanier von klein auf viel mehr Kontakt zu Pferden haben, als wir. Es ist praktisch selbstverständlich, dass das Auto abgebremst und Abstand zum Pferd gehalten wird, und es ist definitiv viel mehr Geduld und Verständnis für Pferd und Reiter vorhanden. Manche Spanier freuen sich so darüber, Pferde und Reiter zu sehen, dass sie beim Vorbeifahren aus dem Fenster winken und wild hupen!

Wir werden auch öfters mal auf unsere beiden «Exoten» angesprochen, da Major und Bonita unübersehbar kein spanisches Blut haben. Fasziniert sind die Einheimischen auch immer von unseren Sicherheits-Leuchtartikeln für abendliche Ausflüge. Das kennt man hier sozusagen gar nicht.

So gross die Unterschiede auch sind, eines haben die andalusischen und Schweizer Pferdebesitzer gemeinsam: Sie lieben ihre Pferde!

 

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